DIE ZEIT
34/2003
Bildung und Kultur
Ein Fürst träumt von Afghanistan
Der Aga Khan fördert ein einzigartiges Kultur- und Bildungsprogramm in den zentralasiatischen Nationen entlang der alten Seidenstraße - er kämpft gegen das Erbe der Taliban, gegen Armut, Drogen und Verfall
Von Henrike Thomsen
Das Streben nach Wissen ist die Pflicht aller Muslime - eines jeden Mannes und jeder Frau" lautet das Motto von Zentralasiens ältester Hochschule. Die Inschrift steht in das Eingangsportal der Medresse Ulug Beg in Buchara gemeißelt, aber aus ihr spricht der vergessene Stolz der alten Seidenstraßenregion zwischen Iran, Russland, China und Indien. Zentralasien gilt heute als Brutstätte eines unaufgeklärten Islamismus. Von hier ging der Fundamentalismus in seiner krassesten Form hervor: die Taliban, ein Lumpenkriegerproletariat, in radikalen Koranschulen in Nordpakistan und Afghanistan gedrillt für den Dschihad. Dass die Region der Bamiyan-Vandalen einmal für ihre kulturellen Leistungen berühmt war, ehe sie zum bloßen Spielball der Weltpolitik verkam, ist beinahe verschüttet. Foto: [M] Claudio Fragasso / faf
Die Seidenstraße zählt zu den mythischen Orten der islamischen Geistesgeschichte. Bis zum 15. Jahrhundert hatte sie urbane Zentren wie Buchara und Samarkand hervorgebracht, deren Universitäten, Sternwarten, Hospize und Moscheen es mit den europäischen Zentren der Renaissance aufnehmen konnten. Das hellenistische Erbe von Alexander dem Großen, buddhistische Traditionen sowie der Sufismus, eine mystische Spielart des Islam, hinterließen ihre Spuren. In der jahrhundertealten Toleranzkultur nahmen auch die schönen Künste eine hohe Stellung ein. "Die Menschen verbringen ihre Zeit fast nur damit, auf Instrumenten zu spielen, zu singen und zu tanzen", notierte Marco Polo.
Nichts könnte weiter entfernt sein von diesem goldenen Vergangenheitsbild als die aktuelle Realität. Tadschikistan, das alte Mutterland der heute usbekischen Städte Buchara und Samarkand, zählt zu den 20 ärmsten Ländern der Welt. Bei den Nachbarn Usbekistan, Kasachstan, Kyrgystan oder Pakistan sieht die Lage kaum besser aus. Von Afghanistan schwappten islamistische Fundamentalisten, Drogen- und Waffenschmuggler herüber, die das Staats- und Gesellschaftsgefüge gefährden. Das Bildungswesen ist marode. Die Staatsuniversität von Tadschikistan verfügt nicht einmal über genügend Geld, um die morschen alten Bankpulte der Studenten zu ersetzen. Ein ehemaliger Dorfschullehrer unterrichtet sein radebrechendes Englisch an der Sprachenfakultät in der Hauptstadt Duschanbe. Umso irrealer wirkt es, wenn man hier plötzlich ein funkelnagelneues Sprachlabor entdeckt, in dem ein redegewandter Kanadier mithilfe von Musikbeispielen unterrichtet. Der Lehrer befeuert seine Studentinnen mit einem wilden Mix aus Béla Bartók, Sex Pistols und dem türkischen Schlagerstar Tarkan. Er konfrontiert sie mit Fragen zum Verhältnis zwischen Musik und Politik, zwischen Kunst und Macht. Immer wieder sagt er einen Satz: "I want you to think."
Das Sprachlabor und der englischsprachige Pädagoge verdanken sich dem Aga Khan Humanities Project. Die geistes- und sozialwissenschaftlichen Förderkurse dieses Programms bilden neuerdings Teil des Uni-Angebots in Tadschikistan, Kyrgystan und Kasachstan. Doch ihr Signal an die ganze Region lautet: Neue Denker, Meinungsführer und Eliten müssen her, oder Zentralasien wird seiner Probleme nicht Herr werden. Nach dem jahrelangen Schwund der gesellschaftlichen Führungsschicht durch Bürgerkriege und Verfolgung ist das eine naheliegende Einsicht. Dennoch erhält der Appell durch den Spiritus Rector des Humanities Project eine besondere Brisanz.
Der Aga Khan ist ein Muslimführer, der um die Aussöhnung zwischen der islamischen Welt und dem Westen bemüht ist. Das spirituelle Oberhaupt der Ismaeliten, einer schiitischen Splittergemeinde von weltweit 17 bis 20 Millionen Gläubigen, ist ein liberaler Vordenker, der selbstbewusst sowohl an seine Harvard-Erziehung als auch an den Koran anknüpft. Nebenbei ist der Aga Khan ein Lebemann und findiger Unternehmer - kurz, er verkörpert das Ideal eines modernen Islams, wie es die Vereinten Nationen sich nicht schöner ausmalen könnten.
Bei uns ist der 67-jährige Karim Aga KhanIV. eher aus der Klatschpresse bekannt: Er gilt als einer der reichsten Männer der Welt mit einem Schloss bei Paris, einem Stall voll kostbarer Rennpferde und einer eleganten deutschen Gräfin als zweiter Ehefrau. Dass der 49. Imam der Ismaeliten ein studierter Islamwissenschafter ist und laut Spiegel das weltweit größte private Entwicklungshilfe-Netzwerk betreibt, wissen nur wenige. In Zentralasien hingegen erweist man ihm eben deshalb besonders Reverenz. Das Aga Khan Development Network (AKDN) ist hier seit den neunziger Jahren aktiv, nicht nur zur Unterstützung für die hier zahlreich lebenden Ismaeliten, sondern zur Stabilisierung der gesamten Region, besonders seit dem 11. September.
Die Ismaeliten nahmen in der islamischen Welt stets eine Rolle ein, die an die der Juden gegenüber den Christen erinnert. Die Gemeinde, die im 8. Jahrhundert aus unterschiedlichen Auffassungen über die Nachfolge des schiitischen Glaubensführers Ali hervorgegangen war, blieb eine Minderheit. Als solche aber definierte sie sich besonders über ihre geistigen und literarischen Interessen, ihren Fleiß und ihren betont rationalen Glaubensansatz. (Insofern haben die Ismaeliten auch einen protestantischen, wenn nicht gar kalvinistischen Zug.) Nach dem Mongolensturm im 13. Jahrhundert verstreute sich die Gemeinde von Nordafrika und Nordiran bis nach China und Indien. Die Imame residierten bis um 1830 in Persien, wo sie vom Schah den Fürstentitel "Aga Khan" erhielten. Der Großvater des amtierenden Imam begann im frühen 20. Jahrhundert, die Spenden seiner Gläubigen nachhaltig in Universitäten, Schulen und Begabtenförderung zu investieren. 1937 wurde er Präsident des Völkerbundes und zog von Bombay nach Genf, wo heute das AKDN seinen Sitz hat und Karim Aga KhanIV. geboren wurde, der seit 1957 die Geschicke der Ismaeliten lenkt.
Professoren für Bienenzucht und Hühnerhaltung
Großvater und Enkel haben die Gelder ihrer Gemeinde geschickt in Banken, Versicherungen und Unternehmen angelegt, die Gewinne abwerfen, um wiederum andere Hilfsprojekte zu speisen. Zuletzt gewann die Aga-Khan-Gruppe die Ausschreibung für den Aufbau eines Handy-Netzes in Afghanistan. Das Imamat legt jedoch Wert darauf, dass es sich bei dem für 2001 ausgewiesenen Vermögen des AKDN von 516 Millionen Dollar um den Besitz aller Ismaeliten handelt. Der Ruf vom legendären persönlichen Reichtum der Imame war fälschlich entstanden, als sich der Sultan Mohammed Schah Aga KhanIII. 1946 in Edelsteinen aufwiegen ließ. Später begründete er damit Unternehmen wie die Diamond Trust Bank in Afrika, deren Name die Verwendung des Vermögens dokumentieren sollte und die heute eines der finanziellen Rückgrate des AKDN bildet.
Die nichtkommerziellen Ableger des weit verzeigten Hilfswerks unterstützen Krankenhäuser, Landwirtschafts-, Kleinkreditprojekte und Frauenprogramme - sowie immer wieder Kultur und Bildung. 2001 investierte man 100 Millionen US-Dollar in Hilfsprojekte in Afrika, Asien und im Nahen Osten. Viel Geld davon stammt inzwischen von den zahlreichen internationalen Geldgebern, mit denen das AKDN seit Jahren kooperiert - darunter Deutschland und die USA, die Weltbank, die Europäische Kommission und die UN. Man kann sagen, dass es sich um einen regelrechten Entwicklungshilfekonzern handelt, mit dem Aga Khan als umtriebigem Generaldirektor.
Zugleich aber ist es ein hoch religiöses Lebenswerk, welches das historische Selbstverständnis der Ismaeliten untermauert - den Anspruch, einem toleranten und besonders sozial engagierten Islam den Weg zu bereiten. "Man kann nicht von der islamischen Welt sprechen und dabei die Idee des Pluralismus zurückweisen", sagte der Aga Khan in einem Interview mit der amerikanischen Zeitschrift Architectural Record. "Der Islam unterstützt die Menschen in ihrem Recht, ihr eigener Herr zu bleiben und sich ihr Urteil selbst zu bilden."
Hoch im Pamirgebirge, direkt über dem Grenzfluss nach Afghanistan, liegt die tadschikische Kleinstadt Khorog. An einem unauffälligen Haus in der Lenin Street weht ein zitronengelbes Banner mit der Aufschrift "University of Central Asia". Dies ist die Keimzelle des jüngsten Aga-Khan-Projekts: eine länderübergreifende Universität für ganz Zentralasien. Im Gegensatz zur bereits bestehenden, auf Medizin spezialisierten Aga Khan University in Pakistan soll die UCA vor allem Wirtschafts- und Sozialwissenschaften anbieten. Ab 2004 will das staatlich anerkannte Privatinstitut in Tadschikistan, Kyrgystan und Kasachstan ein speziell auf Gebirgsregionen zugeschnittenes Programm aufbauen. Studiengänge in Umwelt- und Ressourcenmanagement, Wasserwirtschaft, Ökotourismus und Sozialarbeit im ländlichen Raum sollen bis 2007 entstehen.
Bisher aber gibt es nur ein Erwachsenenbildungsprogramm, das in dem kleinen Haus in der Lenin Street koordiniert wird. Die meisten Menschen in der Region erhalten über die neunte Klasse hinaus keine Weiterbildung. Und auch der Pflichtunterricht ist mehr schlecht als recht. Die UCA schickt junge Lehrerinnen vor Ort, um überhaupt erst die Voraussetzungen für den erhofften Bildungsboom zu schaffen. Die Schüler - alte Männer mit Turban, junge Männer mit Goldzähnen, aber auch viele junge Frauen in leuchtend bunten Kleidern - können die Seminarthemen selbst mitbestimmen. Ganz oben auf der Wunschliste stehen Bienenzucht, Hühnerhaltung oder Basishygiene für die Familie.
So bescheiden sind die Anfänge der University of Central Asia, die noch kaum über das Niveau einer Volkshochschule hinausreichen. Dabei will sie wie die bewährte Aga Khan University schon bald eine Eliteschmiede sein, ausgerüstet mit modernster Internet-Technik, Bibliotheken, 60 Prozent ausländischen Lehrern und der Unterrichtssprache Englisch. Auch Afghanistan und Pakistan sind eingeladen, ihre besten Studenten zu entsenden. Insgesamt sollen mindestens 1500 jährlich in den drei Fakultäten immatrikuliert sein. Mithilfe von breitem Fern- und Erwachsenenunterricht will man bis hin nach Iran und China aber sogar bis zu 50 Millionen Menschen erreichen.
Es ist, als wollte der Aga Khan mit dem überaus ehrgeizigen Projekt die Scharten auswetzen, die der Lauf der Geschichte Zentralasien geschlagen hat. Im Ödland der alten Seidenstraße träumt er wie Prospero, Shakespeares literarische Verkörperung des idealen Renaissancefürsten, von der Rückkehr des alten Glanzes von Geist und Kultur. Die UCA mit ihrem Hauptcampus in Khorog soll wie ein Bollwerk gegen die Drogen- und Waffenschmuggler weithin sichtbar auf einem Felsplateau über dem Grenzfluss sitzen. Doch um diese Idee zu realisieren, wird das AKDN neben dem vom Imam gestifteten Startbudget von 15 Millionen Dollar viele internationale Zusatzmittel auftreiben müssen.
In Khorog selbst lässt sich diese Gefahr in Form einer Brücke besichtigen. Der Imam hat sie am Südrand der Stadt über den Grenzfluss bauen lassen und im November 2002 persönlich eingeweiht. Jahrzehntelang war der ruhig fließende, flache Pjandsch ein schwer bewachtes, unüberwindliches Hindernis gewesen. Die Bevölkerung jubelte über das symbolische Ende der Teilung. Tatsächlich aber ist die Brücke bis heute unpassierbar, weil die russischen Soldaten, die für das militärisch schwache Tadschikistan weiterhin die Grenze schützen, keine Visa für Afghanen erteilen. Selbst Hilfsorganisationen müssen sich in einem komplizierten Ritual auf der Mitte treffen, um sich auszutauschen. Der UCA könnte es ähnlich ergehen: Selbst wenn die Gelder fließen, kann sie leicht scheitern - und zwar an der Politik. In keinem Land ist diese Gefahr größer als in Afghanistan selbst.
Die Babur-Gärten in Kabul - Erinnerung an eine bessere Zeit
2002 wurde das AKDN erstmals auch in Afghanistan aktiv. Ein Schwerpunkt des 75-Millionen-Dollar-Programms liegt auf Architektur, für die der Aga Khan ein besonderes Faible hat. "Wir haben den Auftrag, die Welt als einen besseren Ort zurückzulassen", sagt der Stifter des weltweit höchst dotierten Archiktektur-Preises (für islamische Architektur). Diesen Auftrag versteht er auch im physischen Sinn: "Es bedeutet, Werte in die Umwelt und in Gebäude zu bringen, die die Lebensqualität für künftige Generationen heben."
Das AKDN kümmerte sich bisher unter anderem um die Restaurierung des Altstadtviertels Darb al-Ahmar in Kairo, um die Zitadellen im syrischen Aleppo oder um die prachtvolle Hafenfront von Sansibar. Stets will es dabei über den Einsatz traditioneller Handwerksweisen und Materialien auch den spirituellen Kontext der Bauanlagen neu entdecken. Auf der anderen Seite berücksichtigen die behutsamen Modernisierungen westliche Umwelterkenntnisse, Stadtplanungs- und Sozialtheorien. "Der Aga Khan ist das Oberhaupt einer islamischen Glaubenstradition, aber er arbeitet als Intellektueller. Beide Seiten sind wichtig für ihn", sagt der Kulturminister der afghanischen Interimsregierung, Sayed M. Raheen.
In Kabul bemüht sich das AKDN um die Res-taurierung der Bagh-e-Babur-Gärten aus dem 16. Jahrhundert und um das gegen Ende des 18. Jahrhunderts erbaute Mausoleum für Tamerlan. Beide Monumente erinnern an Zentralasiens alte Glorie: Kaiser Babur (1483-1530) gründete das Mongolenreich und weitete den Herrschaftsbereich bis nach Delhi aus; Tamerlan (1336-1405) drang bis nach Syrien vor und wird in Afghanistan als Staatsgründer unter dem Namen Timur Shah verehrt.
1793 errichtete man ihm ein Mausoleum aus gebrannten Ziegeln und mit einem achteckigen Ziegelgewölbe von erhabener Schlichtheit, obwohl der Leichnam Tamerlans in seiner Heimatstadt Samarkand begraben liegt. Das Mausoleum ist eines der wenigen Denkmäler in Kabul, die den 23-jährigen Bürgerkrieg einigermaßen glimpflich überstanden. Es wurde als öffentliche Toilette benutzt, doch nur die Kuppel ist ernsthaft beschädigt.
Für die Reparatur hat das AKDN eine deutsche Spezialfirma engagiert und hofft wie immer auf einen Lerneffekt für die heimischen Hilfskräfte und Architekten auf der Baustelle. Tatsächlich aber prallen zwei Welten aufeinander: "Die arbeiten mit Fuchsschwänzen, mit denen wir in Deutschland nicht einmal eine Kartoffel durchsägen würden. Wir kommen uns manchmal ziemlich großkotzig vor, obwohl wir es gar nicht wollen", sagt ein Polier aus Essen.
Noch krasser erfährt man den Gegensatz, wenn man die wackeligen Holzleitern erklimmt und vom Turm herunterschaut. Zu den Füßen des Mausoleums hat sich ein Basar aus Wellblechbaracken und Lastwagencontainern ausgebreitet. Davor betteln Krüppel mit verstümmelten Beinen und Armen. Und immer noch verminte Ruinen, so weit das Auge reicht. Kabul, dieser Schutthaufen bei einem großen internationalen Militärlager, sieht anderthalb Jahre nach dem Sturz der Taliban kaum besser aus als Berlin Ende 1946. Was macht es für einen Sinn, ein Mausoleum zu reparieren, wenn die ganze Stadt als ein solches erscheint - und zwar irreparabel?
"Der Nationalstolz in diesem Land hat sich auf das Kämpfen konzentriert. Ein Teil unserer Aufgabe ist es, ihn auf das kulturelle Erbe zurückzulenken", sagt Karel Bos vom Historic Cities Support Program des AKDN. Und Kulturminister Raheen versichert: "Das Wissen um ihre große historische Tradition gehörte zum täglichen Leben der Afghanen. Sobald sich die Situation normalisiert, werden sie von ganz allein danach suchen." Die Bundeswehr unterstützte seit 2002 mit ihrem Sonderhilfs-Corps Cimic den Wiederaufbau von Schulen, Jugendzentren, Kindergärten und Krankenhäusern. Der erfolgreiche Einsatz des Kontingents wird 2004 voraussichtlich jedoch nicht verlängert, falls die Bundeswehr ihr Engagement insgesamt reduziert. Das Auswärtige Amt hat das AKDN seit 2002 mit 515000 Euro für die Restaurierung der Babur-Gärten unterstützt. Die angedachte Erweiterung der Grabungen außerhalb von Kabul wird man aus Sorge um die Sicherheit der deutschen Archäologen vor Ort vermutlich aber nicht finanzieren.
Die Babur-Gärten sehen aus wie ein europäischer Barockgarten, nur schlichter im Design. Die breiten Blumenterrassen am Südrand Kabuls waren einst mit Fontänen und Wasserläufen geschmückt. Heute sind die meisten Beete leer und die Brunnen trocken. Der obere Teil des Parks überdauerte die Zeitläufte als öffentliches Schwimmbad, denn ein breites Auffangbecken für Regen und Wasser von den umliegenden Hängen wurde 1930 hinzugebaut, in dem sich heute die männliche Jugend in bunten Badeshorts vergnügt. Nichts von dem Ausblick, der sich ihnen von hier auf die Ruinen und die mit klapprigen Vehikeln verstopften Straßen bietet, erinnert an Baburs geliebte Stadt. In den Augen des persischen Dichters Sa'ib-i-Tabrizi aus dem 17. Jahrhundert war Kabul mit seinen zahlreichen Parks, Schreinen und Palästen lieblich genug, um das Paradies neidisch zu machen. Heute sehen die Kinder nichts als eine formlose braune Stadtmasse. Was hilft es da, wenn Archäologen die alten Bewässerungsanlagen Baburs freilegen? Was sollen die guten Worte eines Ministers?
An einem Nachmittag im Altstadtviertel Ashequan wa Arefan findet sich vielleicht eine Antwort. Das AKDN renoviert hier - mit 39000 Euro ebenfalls vom Auswärtigen Amt - eine Moschee, die als Militärlager gedient hatte. Helfer aus der Nachbarschaft kratzen mit Drähten geduldig die Wände ab, damit unter den zahlreichen Überstreichungen die alten Stukkaturen wieder zum Vorschein kommen. Einige haben angefangen, ihre eigenen Häuser auf diese Weise zu renovieren. Auf dem Hügel über der Moschee hat eine Menschenmenge einen alten Stadtführer gefunden. Die Kinder betrachten die Fotos. Überraschenderweise erkennen sie die meisten abgebildeten Denkmäler. Die alten Männer wissen, wo die Monumente einst lagen oder liegen. Sie deuten mit ausgestreckten Armen in die Richtungen - "Timur Shah, yes, Babur Shah, yes" - und kommen ins Erzählen. Ein lebhaftes Gespräch entspinnt sich zwischen den Alten und Jungen. Am Ende hält einer das Buch hoch in die Luft, und alle rufen: "Thank you, thank you, thank you!"