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Die Welt
Donnerstag, 9. September 2004
Berlin, 05:16 Uhr

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Herrscher ohne Land

Der Aga Khan, Oberhaupt der Ismaeliten, ist einer der reichsten Männer der Welt. Er warnt: "Wir können es uns nicht länger leisten, wesentliche Teile der Menschheit zu ignorieren." von Dietrich Alexander

Aga Khan, Oberhaupt der Ismaeliten Foto: ddp

Ich bin Mitglied der Harvard-Mafia", sagt der elegante, vornehme Mann und kokettiert ein wenig mit seiner exklusiven Ausbildung. Doch diesem Kokettieren wohnt nichts Überhebliches oder Hedonistisches inne, es ist der fast selbstironische Zwischenruf eines im wahrsten Wortsinn ernsten und ernsthaften Mannes. Denn Prinz Karim Aga Khan IV., 49. Imam und Oberhaupt der etwa 18 Millionen Mitglieder zählenden Glaubensgemeinschaft der Ismaeliten, Manager eines weltweit operierenden Netzwerkes von Entwicklungshilfeprojekten, Gebieter über ein Milliardenvermögen und direkter Nachkomme des Propheten Mohammed kann sich Leichtsinn nicht leisten - und jede Form der Arroganz scheint ihm wesensfremd. Er begreift sich innerhalb seiner Glaubensgemeinschaft als Primus inter pares und verfolgt eine Mission: Die Verbesserung der Lebensumstände der Moslems im Allgemeinen und der Ismaeliten im Besonderen.

Der Aga Khan hat einen Traum, aber ein Träumer ist er nicht. Er spricht leise und wählt seine Worte mit Bedacht. Seine Augen wirken müde. Manchmal, so sagt er, fühle er sich wie Sisyphos, der tragische Held der griechischen Mythologie, angesichts der überwältigenden Probleme in der islamischen Welt. Er hat sich sein Schicksal nicht selbst ausgesucht, sondern wurde von seinem Großvater bestimmt, die ismaelitische Gemeinschaft anzuführen. Am 11. Juli 1957 stirbt Sultan Mohammed Aga Khan III. in Versoix bei Genf. Zuvor hat der international respektierte indische Staatsmann und Präsident des Völkerbundes verfügt, dass ihm sein Enkel Karim als Oberhaupt der Ismaeliten, die verstreut in mehr als 25 Ländern der Erde leben, nachfolgen solle.

Die Ismaeliten sind Mitglieder einer schiitischen Sekte. Sie spalteten sich im achten Jahrhundert unserer Zeitrechnung von den Schiiten ab, weil es Streitigkeiten über die Nachfolge des ersten Imams und Glaubensspenders Ali gab, Schwiegersohn des Propheten. Als Minderheit in der Diaspora definieren sie sich über ihre geistiges und kulturelles Erbe und verfolgen einen rationalen, liberalen Glaubensansatz. Die Interpretation des Korans und seiner Lehren ist jedem Einzelnen selbst überlassen, solange er gewisse Grundsätze nicht missachtet: Den Glauben an Allah und den Respekt vor dem Land, in dem er lebt.

Karim ist zum Zeitpunkt seiner Ernennung 20 Jahre alt und studiert in der Elite-Universität Harvard. Geboren wird er am 13. Dezember 1936 in Creux de Genthod, Schweiz. Sein Vater ist Prinz Ali Khan, Pakistans Botschafter bei den Vereinten Nationen, besser bekannt jedoch als Jet-Set-Playboy, der mit der Hollywood-Diva Rita Hayworth eine Ehe einging. Prinz Karims Mutter ist das ehemalige Model Joan Yarde-Buller, spätere Prinzessin Tajudaulah. Er verbringt seine frühe Kindheit in Nairobi, Kenia. Der Tradition seiner Familie folgend übernehmen elitäre Schweizer Internate seine Erziehung, allein neun Jahre lang eines der ältesten und renommiertesten unter ihnen: "Le Rosey", das 1880 gegründet wurde.

1959 schließt er sein Geschichtsstudium in Harvard ab, am 22. Oktober 1969 heiratet er Sarah Frances (Sally) Croker Poole, die sich fortan die Begum Salima nennen lässt. Doch diese Ehe hält nicht, der Aga Khan und die Begum lassen sich scheiden. Am 30. Mai 1998 heiratet der Aga Khan erneut: Auf seinem französischen Stammsitz, einem Schloss aus dem 18. Jahrhundert in Aiglemont nahe Paris, nimmt er die deutschstämmige Prinzessin Gabriele zu Leiningen (41), eine geborene Thyssen, zu seiner zweiten Frau. Die Juristin konvertiert zum Islam und nennt sich fortan Gabriele Inaara Begum Aga Khan. Das Paar hat einen vierjährigen Sohn, Prinz Ali Mohammed. Aus erster Ehe hat der Aga Khan drei Kinder, Begum Inaara hat eine Tochter aus erster Ehe mit Karl-Emmrich Erbprinz zu Leiningen.

Der Aga Khan ist zwar ein Herrscher ohne Land, aber vielleicht gerade deshalb auf der ganzen Welt zu Haus. Er zählt einige der wichtigsten Staatsmänner und Wirtschaftsbosse zu seinen Freunden, so etwa James Wolfensohn, Präsident der Weltbank. Häufig beschäftigt der 67-jährige die Klatschspalten der Boulevardpresse, was er dem Umstand verdankt, zu den reichsten Männern der Erde zu gehören, mit einer eleganten deutschen Gräfin verheiratet zu sein und einen Rennstall mit über 500 Pferden im Wert von über 250 Millionen Euro zu besitzen. Dass er studierter Islamwissenschaftler ist, Zeitungsbesitzer, Financier, Entwicklungshelfer und Philantroph ist weniger bekannt. Immerhin wählte ihn das US-Magazin Vanity Fair vor einigen Jahren neben Papst Johannes Paul II., Queen Elizabeth, George Soros und Alan Greenspan unter die 65 Personen, die die Geschicke der Welt wesentlich beeinflussen.

Seine Anhänger zahlen gemäß des überkommenen islamischen "Steuersystems" ein Fünftel (den "Chums") ihres Einkommens in die vom Aga Khan verwaltete "Gemeinschaftskasse" ein. Das Geld fließt dann in Gesundheits- und Erziehungsprojekte, Bildungseinrichtungen und Kulturinstitute der Glaubensgemeinschaft insbesondere in Indien und Pakistan, Nord- und Ostafrika sowie im Nahen- und Mittleren Osten.

"Wir fühlen uns angetrieben", sagt der Aga Khan, "wir müssen auf die dringenden Bedürfnisse der Menschen in ländlichen Regionen und Entwicklungsländern reagieren. Es geht um Ausbildung, medizinische Versorgung und Kultur", beschreibt er die Arbeit seines Aga Khan Development Network (AKDN). Dabei setzt das weltweit größte private Entwicklungshilfenetzwerk auf intellektuellen Nachwuchs aus der Region. Die westliche Welt, so konstatiert der überzeugte Nichtraucher und Antialkoholiker, mache den großen Fehler, aus dem urbanen Blickwinkel die Dritte Welt zu betrachten. "Wir können Entwicklung nicht transplantieren, wir müssen sie in den Ländern wachsen lassen und die dafür nötigen institutionellen Kapazitäten schaffen." Ein Prozess, der 15 bis 20 Jahre in Anspruch nehmen könne, weil die Säulen der Zivilgesellschaft systematisch zerstört wurden - als Folge des Kalten Krieges oder durch Missmanagement.

Im Irak und in Afghanistan sei man in dieser Hinsicht bestenfalls zu 50 Prozent auf dem richtigen Weg. Das humane Kapital, die junge Intelligenz müsse in viel stärkerem Maße eingebunden werden. Drei Dinge, so sagte der Aga Khan am Montag als Ehrengast der Botschafterkonferenz des Auswärtigen Amtes, seien notwendig für den Übergang der ärmsten Länder zu modernen und friedlichen Gesellschaften: Eine stabile und kompetente demokratische Regierungsführung, ein Umfeld, in dem der Pluralismus geachtet und gefördert wird und eine durch Vielfalt gekennzeichnete und engagierte Zivilgesellschaft. "Zuweilen lese ich, der Islam stehe im Widerspruch zur Demokratie. Ich muss Ihnen jedoch sagen, dass ich als Moslem nicht wegen des Denkens der Griechen oder Franzosen, sondern wegen Grundsätzen Demokrat bin, die 1400 Jahre zurückreichen, direkt in die Zeit nach dem Tod des Propheten Mohammed", erklärte er der versammelten deutschen Botschafterschar. "Die Moslems der damaligen Zeit legten fest, dass Führungspersönlichkeiten nach Verdiensten und Kompetenzen auszuwählen seien. Diese vor 14 Jahrhunderten verankerten Prinzipien sind mit den demokratischen Modellen vereinbar, die es in der Welt von heute gibt."

Der Aga Khan fordert mehr gegenseitiges Verständnis und bessere Verständigung zwischen Islam und jüdisch-christlicher Welt ein, damit die These seines Kollegen von der "Harvard-Mafia", Samuel Huntington, vom Zusammenprall der Kulturen ad absurdum geführt wird. "Wer", so fragt er, "hat denn vor der iranischen Revolution 1979 etwas über Schiiten gewusst? Und wer vor dem Krieg in Afghanistan gegen die Taliban etwas über wahhabitischen Islam? Wir können es uns nicht länger leisten, wesentliche Teile der Menschheit zu ignorieren. Das ist viel zu gefährlich." Der Wanderer zwischen den Welten hat sich diesem Dialog verschrieben - und er wird seine Mission weitergeben an den nächsten, den 50. Imam der Ismaeliten.

Artikel erschienen am Mi, 8. September 2004