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NZZ Online - Neue Zürcher Zeitung
Dienstag, 2. November 2004

Schauplatz Zentralasien

Alma Mater auf dem Dach der Welt

Die Gebirgsuniversität des Aga Khans

Eigens auf die Bedürfnisse von Bergregionen Zentralasiens zugeschnitten, soll die neu gegründete University of Central Asia (UCA) entscheidend zum wirtschaftlichen Neustart benachteiligter Randregionen beitragen. Ihr Gründer, der Aga Khan, strebt bereits jetzt eine Ausweitung des universitären Netzwerkes auf alle Bergregionen der Erde an.

Zwischen steilen Felswänden fällt die Hochebene hügelartig zu den Ufern des Naryn hin ab. In kühnen Schleifen windet sich der Gebirgsfluss aus dem chinesischen Tian-shan-Massiv hinunter nach Naryn, wie auch die grösste Stadt in diesem Teil Kirgistans benannt wurde. Unablässig verändern Naturkräfte das Bild dieser rauen Gegend, durch die einst Nomaden mit Pferden und Jurten zogen. Im Frühjahr verursacht die Schneeschmelze im chinesischen «Himmelsgebirge», wie das Tian-shan-Massiv auf Deutsch heisst, Flutkatastrophen und verheerende Bergrutsche. Und auch die Erde bebt dort ab und zu.

Gemeinnütziges Netzwerk
Ausgerechnet auf dieser über 2000 Meter hohen Hochebene entsteht die ungewöhnlichste Bildungseinrichtung in diesem Teil Asiens: University of Central Asia (UCA) genannt, ist die Hochschule auf dem Dach der Welt eine Initiative des Aga Khans, des spirituellen Oberhaupts der schiitischen Ismaeliten-Diaspora, die vor allem in Nordamerika, Ostafrika und Asien lebt. Vor vier Jahren hatte der Imam, so sein offizieller Titel, den Bau mit den Staatspräsidenten von Kirgistan, Kasachstan und Tadschikistan vereinbart.

Mit seinem gemeinnützigen Netzwerk, das in Genf und Aiglemont bei Paris ansässig ist, fördert der Aga Khan vorrangig Projekte auf den Gebieten Landwirtschaft, Wirtschaft, Gesundheit und Bildung, unter anderem hat er im pakistanischen Karachi eine Privatuniversität eröffnet. Als Besitzer zahlreicher Unternehmen nimmt Prinz Karim Aga Khan IV., der in Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit aktiv ist, hierfür einen Teil seines Gewinnes; den Löwenanteil der Kosten für seine weltweit rund 90 Projekte wirbt seine Organisation freilich über Fundraising von den internationalen Gebern ein.

Für die UCA, die der Aga Khan mit einem Stiftungskapital von 15 Millionen US-Dollar ausgestattet hat, verständigte man sich auf drei Standorte, die sich durch gemeinsame Merkmale auszeichnen: Tekeli (Kasachstan), Khorog (Tadschikistan) und das kirgisische Naryn liegen in Bergregionen, die ihrer Grenznähe wegen seit je benachteiligt sind und grenzübergreifend unter zunehmender Verelendung leiden. Als «Universitätsparks» nach westlichem Vorbild geplant, richten sich die drei UCA-Lehrstätten ausschliesslich an Einheimische, die erstmals die Möglichkeit haben, in unmittelbarer Nähe zu ihrer gewohnten Gemeinschaft eine akademische Ausbildung zu durchlaufen und sich an Kursen zur Berufsfortbildung zu beteiligen. Denn seit der Unabhängigkeit der drei ehemaligen Sowjetrepubliken zeigt sich immer deutlicher, dass die einst gut angesehenen Hochschulen der Hauptstädte bei studienwilligen Bergbewohnern schlecht angesehen sind.

Knappe öffentliche Mittel haben dazu geführt, dass sich das Niveau von Forschung und Lehre und die Ausstattung drastisch verschlechtert haben, viele der russischstämmigen Dozenten haben ihre früheren Wirkungsstätten verlassen. Als grösstes Problem betrachten die UCA-Initiatoren den Umstand, dass staatliche Bildungsstätten auch über ein Jahrzehnt nach Erlangung der Unabhängigkeit weiterhin veralteten Lehr- und Lernformen der Sowjetära verhaftet sind und Studenten aus den Berggebieten nicht jene Qualifikation vermitteln, die sie für den politischen und wirtschaftlichen Neustart benötigen.

Diese Lücke soll die neue Universität schliessen. Man kann sie in jeder Hinsicht als ungewöhnlich betrachten: Englisch wird Hauptsprache sein, einheimische Dozenten, die bereits Studienaufenthalte an westlichen Hochschulen verbracht haben, sollen nach Angaben des Rektors Fred Starr (64), Leiter des Central Asia-Caucasus Institute an der Washingtoner Johns-Hopkins-Universität, vorrangig eingestellt werden. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Universitäten «müssen die Studierenden bei uns Forschungsprojekte übernehmen und sich ihre Schwerpunkte eigenständig wählen», fügt der Historiker hinzu. Erweise sich ein Kandidat bei der Aufnahmeprüfung als geeignet, werde er dank Stipendienmöglichkeiten auch dann zu international anerkannten BA- und MA- Kursen zugelassen, wenn er sich das finanziell gar nicht leisten könnte.

Hoffnung auf Brot und Arbeit
Es sei vorgesehen, nach und nach sämtliche Studienrichtungen einer Universität anzubieten, «allerdings wird alles eindeutig auf den regionalen Kontext der zentralasiatischen Bergwelt mit annähernd 40 Millionen Bewohnern hin ausgerichtet», verspricht Fred Starr. Dass die Absolventen später ihre Heimat verlassen und den bereits ausgeprägten «Braindrain» in Richtung Westen verstärken, hält er für unwahrscheinlich. Nach dem gegenwärtigen Stand wird die UCA drei akademische Programme anbieten. Während das tadschikische Khorog, gleichzeitig Sitz des Rektors, ein Institut für Bildungswissenschaften und Entwicklung des ländlichen Raumes erhält, liegt der Schwerpunkt in Tekeli (Kasachstan) auf Umwelt- und Ressourcen-Entwicklung sowie auf Tourismus und Freizeitaktivitäten; in Naryn soll bis in zwei Jahren das Institut für Management und Wirtschaftsentwicklung sowie für öffentliche Verwaltung den Betrieb aufnehmen. Kurse zur Berufsfortbildung werden an den drei Standorten bereits seit Jahren angeboten.

Wie sich der Aga Khan seine Alma Mater im Hochgebirge vorstellt, zeigen Computersimulationen. Nachdem Geologen die Gebiete nach erdbebensicherem Terrain abgesucht hatten, entwickelte das US-Landschaftsarchitekturbüro Sasaki Associates Pläne für die landschaftliche Gestaltung. Die Gebäude entwarf der japanische Stararchitekt Arata Isozaki, von dem unter anderem das Olympiastadion in Barcelona stammt. Isozakis Entwurf sieht eine für zentralasiatische Gewohnheiten völlig neue Anordnung der Campusgebäude vor. In den Universitätsparks hat der Japaner, der sich mit seinen Bauprojekten in gebirgigen und erdbebengefährdeten Regionen einen Namen gemacht hat, die Bereiche Lernen, Leben und Freizeit nicht wie üblich klar funktional voneinander getrennt, sondern ihre architektonischen Komponenten vermischt und sie auf diese Weise miteinander in Beziehung gesetzt. Getreu dieser Cluster-Anordnung gelangen die Studierenden zum Beispiel nach einer Lehrveranstaltung in ein Café, in dem sie sich entspannen können. Und der private Bereich «Students' Life» erlaubt durch die Nähe zu Übungsräumen, die man oft über Passerellen erreicht, ein gemeinsames Abendessen in Form eines akademischen Disputes ausklingen zu lassen. Die zentrale Rolle hat der Architekt dem Freizeit- und Sportbereich zugedacht: Dort sollen sich nicht nur die Studierenden entspannen, er wird als Schnittfläche zwischen der akademischen Welt und den Dorfgemeinschaften Einheimischen offen stehen.

«Die UCA wird eine Hochschule mit drei Standorten sein, belebt von Studierenden, die von einem Campus zum anderen wechseln und dabei stets den Eindruck gewinnen, unabhängig vom jeweiligen Land an der zentralasiatischen Universität zu sein», verspricht Rektor Fred Starr. Damit entsteht erstmals eine gemeinsame Einrichtung zwischen den drei Ländern, die trotz historischen, sozialen und politischen Parallelen völlig unterschiedliche Wege eingeschlagen haben. Im nächsten Schritt sei vorgesehen, die anfangs auf knapp 4000 Studierende begrenzte Hochschule für Gaststudierende aus den Nachbarländern Afghanistan, Pakistan, Turkmenistan und China zu öffnen. Aber Prinz Karim Aga Khan IV. strebt noch höhere Ziele an. Da alle Bergregionen vor vergleichbaren Problemen stünden, könnten später auch Atlas, Anden und balkanische Gebirgsregionen dank Informations- und Kommunikationstechnologie in das akademische UCA- Netzwerk eingebunden werden.

Bei der Grundsteinlegung im Sommer hat sich erneut gezeigt, dass der Aga Khan in diesen Ländern einen ungeheuren Vertrauensvorschuss geniesst; in der Hoffnung, ihren Imam wenigstens für einige Sekunden zu erblicken, verharrten gewaltige Menschenmengen stundenlang in der brütenden Hitze Zentralasiens. Von seinem Universitätsprojekt versprechen sich Zehntausende von Familien in Gebieten, die in einer ökonomischen Krise stecken, für die nächsten Jahre Brot und Arbeit.

Thomas Veser

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